Pantherzeit | Marica Bodrožić - Marica Bodrožić
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Als im Frühling 2020 die Welt zum Stillstand kam und auch die Erde durchzuatmen schien, las Marica Bodrožić zwei Monate lang auf ihrem Balkon jeden Abend Rilkes Gedicht „Der Panther“. Wilder als alles Vergängliche, schreibt sie, der eigenen Eingesperrtheit zum Trotz, sei der Wunsch des Menschen in Freiheit zu leben. Was aber können wir tun, wenn wir gar nichts mehr tun können? Dieser hybride Text tastet die seelischen Landschaften ab, die nur ein radikaler Rückzug möglich macht. Offenbar werden dabei nicht nur die eigenen schmerzverzahnten Lebensthemen, sondern auch die daraus funkensprühende Sprache der Transzendenz. Marica Bodrožić ist schreibend den kathartischen Weg der Mystiker und Philosophen gegangen und hat, auf den geistigen Spuren u. a. von Teresa von Avila und Vladimir Jankélévich, den Eingang in ihre „innere Burg“ gefunden. (Text: Otto Müller Verlag)

Pantherzeit. Vom Innenmaß der Dinge.
Otto Müller Verlag Salzburg 2021
200 Seiten, 22,- Euro
Video: Peter von Felbert

 

Marica Bodrožić hat sich in ihrer „Pantherzeit“ u.a. mit der Mystikerin Teresa von Avila im ersten Corona-Lockdown auf die innere Reise in ihre „Seelenburg“ begeben. Avila, eine der bedeutendsten katholischen Heiligen jüdischer Herkunft, ging davon aus, dass der Mensch im Zeichen von Gebet und Taten sich selbst zu erziehen vermag. Dabei fordert die heißblütige spanische Karmelitin keinerlei Entrücktsein, sondern sagt: „Die Menschen meinen, auf Andachtsgenüsse komme es an. Nein,Werke will der Herr!“ Marica Bodrožić zeigt uns, auf welche Weise Sprache und Bewusstsein mit wirklichkeitssetzender Handlung zu tun haben. Sie wirft dabei einen genauen Blick auf unsere eigene Nichtigkeit und sagt mit Avila, dass das Schwarze uns immer schwärzer neben dem Weißen erscheint. Dieses Buch ist durch seine Ausrichtung auf das Helle selbst ein Gebet, eine Anrufung des höheren Bewusstseins, das uns gerade in unserer Schwäche und Ausgesetztheit dabei hilft, „die dunkle Nacht der Seele“ (Juan de la Cruz) zu durchschreiten. Die Suche nach dem helleren Leben ist für die Autorin dabei tief verknüpft mit der mystischen Schau – denn Mystiker ist, so Michel de Certeau, wer nicht aufhören kann zu wandern und wer in der Gewissheit dessen, was ihm fehlt, von jedem Ort und von jedem Objekt weiß: Das ist es nicht.

DER PANTHER

 

IM JARDIN DES PLANTES, PARIS

 

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

 

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

 

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.

 

Rainer Maria Rilke

Lesung

Sonja Beißwenger liest „Pantherzeit“

NDR Kultur präsentiert in neun Folgen Auszüge aus dem bislang unveröffentlichten Text von Marica Bodrožić.

Mit ihrem langen Essay „Pantherzeit – Vom Innenmaß der Dinge“ gelingt Marica Bodrožić ein magisches Werk: Die utopische Sprache, die absolute Wahrhaftigkeit in den Sätzen, die Ingeborg Bachmann so verzweifelt gesucht und diese Suche letztlich mit ihrem Leben bezahlt hat. Marica Bodrožić erschafft sie hier scheinbar mühelos. Die „taghelle Mystik“ eines Robert Musil, die „sprachliche Struktur des Unterbewusstseins“ eines Jacques Lacan und die vollkommene Entgrenzung von Innen- und Außenwelt macht sie sicht- und greifbar. Bodrožić verschiebt die Horizontlinie der Sprache in die Unendlichkeit und kreiert mit ihrer Poetik den Absoluten Raum, in dem selbst Unsagbares sagbar wird.

Julia Wolffsohn (M.A.)
Literaturwissenschaftlerin