Das Herzflorett - Marica Bodrožić
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Ein Dorf im Taunus. Eine Familie aus Dalmatien. Eine zerrissene Kindheit und eine rebellische Jugend. Die vielfach preisgekrönte Autorin Marica Bodrožić erzählt von einer jungen Frau und ihrem Weg in die Freiheit.

 

In unserer schmerzverzahnten Gegenwart voller Gewalt und Kriege hat Marica Bodrožić einen Roman über Heilung und Ganzwerdung des Individuums geschrieben, in dem die Blickrichtung der Freiheit umgekehrt wird – nicht Anklage und Schuldzuweisung sind ihre Themen dabei, sondern die selbstermächtigende Frage, was kann ich als Einzelwesen tun, wenn die Bedingungen meines Lebens mir so sehr zusetzen, dass ein Aufbruch in etwas Neues unumgänglich ist? Marica Bodrožić zeigt dabei an ihrer Hauptfigur Pepsi, dass das Neue nur aus dem Neuen und niemals aus dem Alten entsteht. Freiheit erfordert den Mut, alles über sich selbst zu vergessen und das zu werden, was als Weg der Freiheit und Befreiung im Innen entsteht.

 

Pepsi liebt das Leben und den flimmernden Schlaf des Sommers. Ihre Eltern arbeiten in Hessen und tauchen nur in den Sommerferien auf dem einsamen Hof des Großvaters in Dalmatien auf. Zeitweise kommt sie auch bei anderen Verwandten unter, doch wo immer sie ist, bleibt sie fremd. Nur in der Natur fühlt sie sich aufgehoben, verbringt, fasziniert von der Sprache der Vögel am Himmel, ihre Tage barfuß im Gras. Als die Eltern sie zu ihren Geschwistern in die Einzimmerwohnung in einem Dorf im Taunus holen, will Pepsi sofort wieder weg. Die vom Putzen rissigen Hände der Mutter sind zu keiner Zärtlichkeit fähig. Der Vater beginnt seine Tage mit Schnaps. Das neue Leben hält aber zugleich Dinge bereit, zu denen das Mädchen sich wie magnetisch hingezogen fühlt. Die Welt der Bücher und Buchstaben, die deutsche Sprache, in die sie sich so plötzlich und heftig verliebt wie später in Aleksandar. Doch als sie Abitur machen und studieren will, wird ihr das verboten, weil sie kein Junge ist. Es ist wie ein Stich ins Herz, ein Abschied – und zugleich ein Neubeginn.

Das Herzflorett
Penguin
288 Seiten, 24.- Euro
Das Buch ist ab 11.09.2024 im Handel erhältlich.

In tiefer Nacht die Sterne zum Leuchten bringen, das kann wohl niemand so kraftvoll und schön wie Marica Bodrožić.

Joachim Dicks, NDR

Marica Bodrožić im Gespräch mit Maria-Christina Piwowarski

Zu dem Gespräch bitte hier entlang >

Marica Bodrožić’ Texte und auch dieser Roman sind eine Schule der Wahrnehmens, der kleinsten inneren Regungen bis zu großer Brutalität. Hier wird das menschlich Erbärmliche und das überzeitlich Grundsätzliche ergründet. Wie nebenbei erzählt Marica Bodrožić völlig unterbeleuchtete deutsche Migratonsgeschichte und das Erwachsenwerden einer starken Hauptfigur, mit literarischer Tiefe und raffiniertem Witz. Ein Roman, der noch lange nach dem Lesen Erkenntnisse an die eigene Bewusstseinsoberfläche steigen lässt.

 

Vivian Perković, 3sat Kulturzeit

 

Foto: Regina Dyck

Wer sich selbst zurückgewinnen muss, braucht Gewissheiten. Es ist dies vielleicht einer der wenigen Zustände, in denen man sich des eigenen Gewussten, dessen man sich sonst, wenn man in der Zeit ist, selbstverständlich bedient, vergewissern muss. Die Gewissheit, um die es hier geht, ist diejenige, um die vielleicht das ganze Werk Bodrožićs kreist: die poetische Ermöglichung der inneren Stunde gegen den Zeitpfeil, gegen die horizontale Kraft der Uhren. Möglich wird dies nur, wenn man sich wie Marica Bodrožić ganz und gar unbedingt dem verpflichtet weiß, was sie die poetische Vernunft nennt, die permanent anschreibt gegen die gusseisernen Begriffe unserer Zeit, andichtet gegen die Unterwanderung der Wahrheit, die Entleerung der Worte, die Lüge und sich stattdessen dem Fließenden und Offenen überlässt und der Bewegung der inneren Wahrheit treu [bleibt], immer bereit, auf dem Weg in die Freiheit den Sprung ins Ungewisse zu wagen. Die poetische Wahrheit ist also keine, die uns Lesern hübsch angerichtet auf dem Tablett serviert wird. Vielmehr ist es eine Wahrheit, der wir, so wir denn wollen, als Weggefährten der Dichterin ein Stück weit folgen dürfen, dabei aber nicht einfach mit-laufend, sondern mit-denkend, mit-fragend, mit-sinnend und -fühlend, mit-sehend und -hörend, vor allem auch: mit-liebend – vielleicht auch bereit, selbst den Sprung ins Ungewisse zu tun.

Prof. Bernadette Malinowski, Professorin für Neuere Deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft an der TU Chemnitz, in der Laudatio bei der Verleihung des Irmtraud-Morgner-Preises an Marica Bodrožić

Das ist ein wunderbarer Bildungsroman, mit vielen überraschenden Wendungen. Am Ende ist man als Leser einfach stolz auf die Hauptfigur Pepsi, die ihre „Lehrjahre“ mit Bravour überstanden hat.

Olga Martynova