Die Arbeit der Vögel | Marica Bodrožić - Marica Bodrožić
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Auf der Flucht vor den Deutschen gelangt Walter Benjamin im September 1940 auf einem alten Schmugglerpfad vom französischen Grenzort Banyuls-sur-Mer ins nordspanische Portbou. Tags darauf setzt er seinem Leben ein Ende. Acht Jahrzehnte später nimmt Marica Bodrožić den letzten Weg des großen deutschen Schriftstellers und Philosophen zum Anlass, um über unsere Zeit, die Komplexität von Lebensläufen und Identität, Freundschaft und Flucht nachzudenken. Für sie wird der Gang über die Pyrenäen zu einem luziden Denkweg, auf dem die Natur als synästhetisches Gefüge mitspricht. Die äußere Bergwelt verschmilzt mit der inneren Lebenslandschaft. Kunstvoll webt Marica Bodrožić in ihren Gedankenstrom die Schicksale auch anderer Intellektueller ein, die der Gewalt des 20. Jahrhunderts ausgesetzt waren – etwa der Widerstandskämpferin Lisa Fittko oder des Dichters Ossip Mandelstam. Entstanden ist dabei eine überzeitliche Wanderung durch die inneren Landschaften der Seele, die das schmerzverzahnte Gedächtnis mit dem leuchtenden Kern von Poesie verbindet. »Ein großes Projekt des Denkens ganz im Geiste Benjamins.« (Paul Reitter).

DIE ARBEIT DER VÖGEL. SEELENSTENOGRAMME
Luchterhand Verlag, München 2022
352 Seiten, 22.-
Das Buch ist ab 14. März im Handel erhältlich

Ich mochte es sehr – das Denken während des Gehens, das Steigen und Schreiten, das körperlich zu erfahren ist. Das Umkreisen von Benjamins Schicksal als exemplarisches, das Aktualisieren, das behutsame Tasten in die Vergangenheit hinein – die der Autorin und ihrer Gewährsmenschen. Es ist erstaunlich, wie dieses sehr bekannte Schicksal hier neu gesehen wird, ohne Klischees. Dieses Schreiben  entfaltet einen Sog: diese Eindringlichkeit, dieses Umkreisen von Gedanken, Bildern, Erinnerungen, dieses Insistieren  – und dann plötzlich das ganz einfache direkte Erzählen wie von der „Geburt der Lüge“.

 

Ein Höhepunkt ist das „Ungestüme Seestück“: diese Wunschliste, unfassbar in ihrer gedanklichen und politischen Kühnheit.

 

Eine berührende Erzählung und ein großer, kluger Essay über die Sprache, das Leben, über die Stärke des Menschen, über die Versuche, ihn zu demütigen, und über die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden.

Prof.Dr. Erdmut  Wizisla, Leiter des Walter Benjamin Archivs in der Akademie der Künste, Berlin.

In Marica Bodrožić‘ leuchtender Sprache verwandelt sich Walter Benjamins mühsamer Fluchtweg über die Pyrenäen in ein dichtes Geflecht von Denkwegen. Sie führen nicht nur tief in Benjamins Zeit hinein, sondern auch in Bodrožić‘ Kindheit und Gegenwart. Mit radikaler Offenheit begründet und hinterfragt sie ihr eigenes Handeln in einer Zeit, in der mehr als ein Prozent der Weltbevölkerung auf der Flucht ist. Vichy Frankreich, Titos Jugoslawien, und Stalins Sowjetunion werden hierbei Teil einer weltumspannenden Geographie der Innerlichkeit, in der sich Intellektuelle und Kunstschaffende wie Nadeshda Mandelstam, Toni Morrison oder Pier Paolo Pasolini mit Bodrožić und Benjamin unterhalten. Bodrožić‘ Denkwege schaffen Momente intensiver Verbundenheit zwischen Literatur, Philosophie und Psychoanalyse. Sie sind auch Gedenkwege – nicht nur für die Menschen, deren Worte die F-Route durch das Gebirge säumen, sondern für diejenigen, die wie die Namensgeber der Route, Lisa und Hans Fittko, ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten, damit diese Menschen weiter schreiben und schaffen konnten. Ich habe in diesem Buch so viele wunderbare Gedanken entdeckt oder neu lesen gelernt. Und es hat mich daran erinnert, wie wichtig es ist, jeden Tag aufs Neue zu versuchen, mit diesem kleinen Leben, das wir haben, etwas Großes anzustoßen.

Veronika Fuechtner, Autorin von „Berlin Psychoanalytic –  Psychoanalysis in Weimar Republic Germany and beyond“, University of California Press
Video: Matthias Daenschel, TrickFilmProduktion Berlin

Hélène Cixous schreibt, dass die lebensnotwendige Bedeutung literarischen Sprechens darin begründet ist, dass dieses Sprechen, dieses ‚uneigentliche Sprechen‘, den ‚Rhythmus unserer Angst verzaubert‘. Den Rhythmus unserer Angst verzaubert in Lebbares? Den Rhythmus unserer Angst verwandelt in etwas Offenes? Die Offenheit und die Angst: sie sind wichtige Denkfiguren in Marica Bodrožić‘ Werk, das davon zeugt, dass Literatur hier als etwas vom Leben im Innersten Zusammengehaltenes verstanden wird. (…) „Verwundbar bleiben“: das ist Marica Bodrožić‘ poetologische Richtschnur. Von Beginn an. Das heißt auch: sich nicht zugrunde richten lassen. Und um sich nicht zugrunde richten zu lassen, muss das Ich austreten aus den Konventionen der Zeit und dem geltenden Regelwerk des Kollektivs, in das es geworfen wurde: das unnachgiebige Bestehen auf Individualität, auf die Würde des Einzelnen, auf die Heiligkeit des jeweiligen Andersseins, ist auch eine Lehre aus der Geschichte, aus der zerstörerischen Vergangenheit, nicht zuletzt der jugoslawischen, die in Marica Bodrožić‘ Literatur eine immerwährende Mitspielerin ist: eine, die auch die Idee (nicht die Ideologie) eines solidarischen und egalitären ‚Wir‘ nachhaltig beschädigt hat.

Katja Gasser, Laudatio Manès-Sperber-Preis

Es gibt viele Bücher über Walter Benjamin, die ihn nachdrücklich bewundern, die von ihm selbst aber nicht bewundert würden. Die Arbeit der Vögel dagegen beleuchtet nicht nur auf bewegende Weise wichtige Momente in Benjamins Leben und Denken, dieses Buch ist auch ein großes Projekt des Denkens ganz im Geiste Benjamins. Denn obwohl Benjamin in seinem eigenen Schreiben manchmal zu extremer Abstraktheit neigte, wurde er immer wieder angezogen von der Idee eines präzisen Denkens, das nach tieferem Verständnis drängt, zeitgleich aber den Mut hat, sein Thema einfühlsam, poetisch selbstbewusst anzugehen. Und Marica Bodrožić‘ schönes Buch Die Arbeit der Vögel, das eine Reisegeschichte mit einer Auseinandersetzung mit Benjamin glänzend und einzigartig vereinigt, kommt diesem schönen Ideal näher als jedes andere Buch über Benjamin, das ich kenne.

Paul Reitter, Autor von “Bambi’s Jewish Roots and other Essays on German Jewish Culture”, Bloomsbury

Das mit dem Wort „Seelenstenogramme“ untertitelte Buch ist Mitte des Monats im Luchterhand Verlag erschienen und ist jetzt schon ein neues Lebensbuch für mich. Marica Bodrožić begleitet mit essyistischen Texten eine Wanderung, die sie vor einiger Zeit, im vierten Monat schwanger, in den Pyrenäen gemacht hat, um der Fluchtroute Walter Benjamins von Südfrankreich nach Nordspanien zu folgen. Unterwegs denkt sie in wunderschönen Sätzen und komplexen Gedanken über das nach, was unser aller Menschsein ausmacht und hat mir auf 345 Seiten nicht nur den Blick sondern auch das Herz geöffnet. Manchmal wählt sie sich weitere Begleiter*innen für eine Strecke des Weges, der nun unser gemeinsamer ist, erzählt von widerständigen und unbequemen Menschen der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, von den großen Intellektuellen und von fast vergessenen Menschgebliebenen in Zeiten größter Grausamkeit, aber auch von persönlichen Beobachtungen und Überlegungen, die zwischen allen Zeiten zuhause sind. Es gibt literarische Stimmen, denen ich sofort verfalle, in denen ich sofort Verbündete vermute. Ich wusste bereits auf der ersten Seite, dass Marica Bodrožić eine Autorin ist, deren Denkwege mir von nun an in meine innere Landkarte gezeichnet sein würden. Sie beim Denken lesend begleiten zu dürfen, ist das größte literarische Geschenk, dass ich in diesem Jahr bekommen habe. Ich habe mir zu viele Sätze unterstrichen, als dass ich hier einen Lieblingssatz auswählen könnte, in jedem dieser 46 Texte habe ich so viel Schönes und Kluges gefunden. Das ganze Buch ist eine Fülle an Sprachkunst, Gedankenschärfe und Menschenliebe und ermutigt uns, weiter zu denken, unter der Oberfläche zu suchen, Verbindungen zu knüpfen, uns nicht mit leichten Antworten zufrieden zu geben und vor allem weiter zu lesen und zu lernen. Gleichzeitig ist es für mich ein unfassbarer Trost, denn solche Menschen mit solch geistigem Vermögen in der Welt zu wissen, ermöglicht uns allen eine innere Aufrichtung, ermöglicht, dass wir uns neu justieren, wenn wir den Weg zu unseren Füßen vielleicht gerade auch nicht sehen können. Wer dieses Buch mit offenem Herzen liest, geht danach unweigerlich eine Verbredung mit sich selbst ein und sucht das r für die Wunde in sich und anderen. „Einen Herzkompass besitzt jeder. Ob er geeicht ist, was er anzeigt und wohin er uns führt, hängt von uns selbst und von den Beschriftungen ab, denen wir im Leben ausgesetzt waren.“

Maria-Christina Piwowarski

Marica Bodrožić versteht Sprache als poetische Produktion des Denkens. Sie erlebt Sprache stark körperlich, als eine tief sinnliche Produktivität des Denkens. Sie weiß daher, dass Wörter nicht einfach nur Gegenstände arbiträr bezeichnen, sondern dass sie diese auch denkend erschaffen.

Jürgen Trabant, Laudatio Walter-Hasenclever-Preis