Marica Bodrožić im Gespräch mit Maria-Christina Piwowarski - Marica Bodrožić
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Marica Bodrožić im Gespräch mit Maria-Christina Piwowarski

Mit Pepsi erzählst Du eine ganz außergewöhnliche Figur, schon als Kind verfügt sie über einen besonderen Blick auf die Welt. Was macht Pepsi für Dich aus? Welche Eigenschaften gibst Du ihr mit?

 

Pepsi ist als Kind immer allein und hat die Fähigkeit, die Welt und die Menschen genau zu sehen, ohne gleich vom Gesehenen zerstört zu werden. Sie sieht sich die Menschen genauso wie die Natur an und empfindet in Zusammenhängen. Wörter sind für sie wie das Gras oder der Klee eine Art Nahrung, die sie sich einverleibt. Sie hat eine sanfte Radikalität in sich, die ihr hilft, sich in einer Welt zu bewähren, die sie im Grunde genommen die ganze Zeit auslöschen will. Doch sie verlernt dabei nicht, Menschen zu lieben, obwohl sie alles andere als von liebenden Menschen umgeben ist. Da Pepsis Geschichte an meiner eigenen entlanggeschrieben ist, konnte ich den Roman nicht aus der Ich-Perspektive schreiben und habe mich bewusst entschieden, aus der personalen Ebene zu erzählen – das hat mir die Freiheit gegeben, zum einen Pepsi zu formen, aber auch mit ihr auf mich selbst als einer Figur in einem größeren Lebensgewebe zu schauen. In diesem Text gibt es nichts, das ich nicht kenne, Hunger, das Leben in beengten Verhältnissen, das Leben in absoluter Armut, das Leben mit Gewalt und das Leben in Befreiung. Aber obwohl ich Pepsi bin, bin ich natürlich nicht Pepsi oder nicht mehr, ich selbst war zum Beispiel wie sie als Kind gezwungen, mit drei, vier Cousinen und Cousins in einem Bett zu schlafen – es gab einfach nur das eine Bett für die Kinder. Im Roman taucht das als Pepsis Zeit in der Sardinendose auf. Und das ist mir auch wichtig, das Erlebte sozusagen zu übersetzen, denn nur Literatur schafft den Sprung in die Weite der Bildwelt, löst sich ab vom Leben und wird zu einem eigenen Kosmos. Alles andere wäre nicht der jahrelangen Mühe wert.

 

Und welchen Herausforderungen muss sich Pepsi in der Geschichte stellen?

 

Wie alle Kinder, die den feuchten und üppigen Geruch der Erde tief in sich aufgenommen haben, das beschreibt ja Faulkner in „Licht im August“ so wunderbar, erlebt Pepsi in diesem coming of age Roman den Übergang von der Welt der Natur in die Welt der Kultur oder die äußere Sphäre des Seins in all seiner Abgründigkeit – und der Spiegel dafür ist die eigene Familie, zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsenenwerden gibt es Hürden zu überwinden. Der scharfe Schnitt zwischen der von Insekten und Vögeln durchflimmerten der mittelmeerischen Natur, ihren Farben und sommerlichen Verlockungen und den von Gewalt, Sucht, bis zur tödlichen Erschöpfung betriebenen Arbeit und Not ihrer Eltern in Hessen bestimmt ihr Leben und Erwachsenwerden nach ihrem Umzug vom Süden in den Norden. Pepsi lernt die Grobheiten, die sie nach ihrer Übersiedlung umgeben, so zu durchschreiten, dass sie sich ihrer nicht bemächtigen. Sie sieht sich alles genau an und irgendetwas in ihr hilft ihr alles sehr genau zu sehen, ohne vom Gesehenen verschlungen zu werden. Das fortwährende Wahrnehmen führt dazu, dass sie in sich selbst absinkt, in einem inneren Bilder-Kosmos leben lernt, der sie vor dem Zurückschlagen bewahrt. Sie fragt sich zum Beispiel auch, wie denn das Gute entsteht und sieht, dass man es wählen muss, um es in die Welt zu holen, die das eigene Leben ist.

 

Hat Dich eine Deiner Figuren des Romans beim Schreiben eigentlich überraschen können oder wusstest Du sehr genau, wo der Text hingeht?

 

Beim Schreiben gibt es immer eine Lücke, die überrascht oder genauer gesagt, die das Buch ermöglicht oder scheitern lässt. Und Pepsi selbst war eine große Überraschung, ihre Genauigkeit, ihr Mut, ihre Fähigkeit zu schauen. Über viele Jahre hinweg habe ich aber nicht gewusst, was diese Lücke, in der das Buch selbst zur Kippfigur werden kann, mir sagen wird. Ich habe über einen langen Zeitraum hinweg gedacht, dass der Text sich selbst verschlingen, sich selbst verunmöglichen würde und das ist auch wichtig für das Schreiben. Doch dann kam aus dem erzählenden Ich heraus die erlösende personale Ebene ins Spiel und eine ganz neue Struktur, auch eine präzise Zeitlichkeit, die vorher nicht da war – das hat mir Mut geschenkt, nach einer Struktur für das Ganze zu suchen, die vorher nur ein Raum des Bewusstseins, ein Ort der Bilder und Empfindungen war. Pepsi hat alles verändert und sie wurde beim Schreiben für mich auch klarer Teil einer politischen Zeit, in der sich die Schicksale Einzelner spiegeln.

 

Wie hast Du den Ton gefunden, in dem Pepsis Geschichte erzählt werden will? Was war Dir dabei wichtig?

 

Der Ton hat sich mit dem Wechsel zwischen Innen und Außen, zwischen Wahrnehmung und Ausgesetztheit, zwischen der politischen Zeit der Einbrüche und der Sehnsucht nach Freiheit eingefunden. Wenn Pepsi beispielsweise auf den rohen Reiskörnern knien muss, die ihr betrunkener und in diesen Momenten lallender Vater zur Strafe ausstreut, weil sie in seinen Augen wieder etwas falsch gemacht hat, dann harrt sie da zwar aus, aber verbündet sich z.B. mit der Kredenz, die sie mit ihrer Mutter aus dem Sperrmüll gefunden hat. Was sie selbst nicht sehen kann, vertraut sie dem großen Auge der Anrichte an, die alles an ihrer Stelle sieht. Der Ton, den ich dafür finden musste, sollte die fast tänzerische Beschwingtheit der Bildwelt in sich tragen, die aber auch die atemnehmende Härte aushält, dennoch fast musikalisch ist – um zu zeigen, dass Pepsi sich nicht aufgibt, dass sie niemals aufgeben wird. Sie wird gedemütigt, umhergetrieben und geschlagen, aber sie nimmt die Umarmung der Dingwelt oder auch der Natur an, sie liebt den Baum in der kleinen hessischen Straße, in der sie nun lebt und sie verbündet sich mit dem Baum, obwohl oder gerade, weil ihre Mutter sie an genau diesem Baum aufhängen will. Sie droht ihr sogar, sie dort vor den Augen aller zu verbrennen. Dieses Pendeln zwischen eigenem Sein, der aufgezwungen Gewalt der anderen, die Liebe zur Schönheit, das hatte zur Folge, dass erwachsen werdende Pepsi in vielfachen Verbindungen denkt und fühlt. So wächst im innen eine multidimensionale Sprache in ihr heran, die gleichzeitig ein Schutz ist, in dem sie sich Fragen stellen kann, etwa ob das wirklich möglich ist, dass man vor den Augen aller derart zerstört werden kann.

Die Natur spielt für Pepsi eine wichtige Rolle, aber auch die Zeit wird von ihr auf eine Weise empfunden, die fast plastisch oder zumindest greifbar wirkt. Wie arbeitest Du mit dem Zeitbegriff in Deinen Texten und speziell in diesem Roman?

 

Die Zeit gehört in allen meinen Büchern zu meinem Lebensbegriff dazu. Zeit ist Leben und zugleich ist Zeit auch Dauer, Ewigkeit und metaphysischer Anker. Alles, was wir erleben, mündet in ihr – wir sind die Zeit, deswegen haben wir Verantwortung und die Aufgabe, die Zeit zu gestalten, in der wir leben. Pepsi entdeckt hinzu in der Natur wie in der Gewalt, die ihren Körper und ihr ganzes Sein angreift, die innere Zeit und sie geht mit der Zeit auch ins Innenland und baut sich von dort wiederum Brücken für ihre äußere Zeit; ihr Aufbruch in die Freiheit, in das gestaltete Leben, verbindet sie mit der Ganzheit der Zeit, innen und außen werden nicht mehr getrennt, sondern bilden eine fordernde Einheit. Die Natur ist von elementarer Bedeutung für sie, denn sie ist tief in ihr abgespeichert und ihre jahrelangen Beobachtungen in ihrem Grasposten verbünden sich dann mit der Zeit, sie entdeckt, dass es auch eine innere Landschaft, eine innere Natur gibt, der treu zu bleiben sie beschlossen hat.

 

Literatur eröffnet Pepsi eine ganze Welt, ist gleichzeitig aber auch ein großer Halt für sie, während ihres Aufwachsens unter sehr schweren Bedingungen. Welche Rolle spielt Lesen für ihr Leben?

 

Pepsi liest Bücher wie andere essen, wenn sie hungrig sind. Sie muss ja mit ihrer Mutter immer arbeiten, geht schon als Kind von einer zur anderen Putzstelle und lernt die ganze Taunusgegend dieserart kennen, aber auch, alles genau sauberzumachen, sie ist im außen gewissermaßen auch gehorsam – nur nicht im innen, da entwickelt sie unausgesprochen eine befreiende Unbeugsamkeit. Sie sinkt aber dann beim Lesen tief ab in die Welt der Bücher und die Bücher sind ihre Verbündeten, Mitgehende, Freunde in einem Universum ohne permanentes Tun, ohne die Forderungen, die Befehle, die Schläge der Eltern, die ihr oft als Mädchen gelten, das gebändigt werden soll. Pepsi sieht aber zeitgleich auch, wie schwer ihre Eltern arbeiten müssen, damit sie alle überleben und genug zu essen bekommen. Die Bücher eröffnen ihr eine andere Ebene des Seins, sie erfährt dadurch auch, dass es andere Existenzen gibt, andere Seinsformen und sie spürt, dass die Welt der Bücher ihr eine Art inneres Auge schenken und der Ort des Bewusstseins, der durch die Sprache entsteht, sie in ein Gewahrsein bringen, in eine Aufrichtung, die es in ihrem Alltag nicht gibt. Sie ist permanent dem Zorn, der Wut, der Gewalt und den Folgen von Alkoholismus ausgesetzt. Deshalb nimmt sie Kafka oder Büchner oder was immer sie zum Lesen bekommt wie geistige Nahrung in sich auf. Ich habe einige Stellen im Roman eingebaut, kleine Zitate aus den Büchern, die Pepsi wichtig sind und die auch für mich eine Bedeutung haben und die genau das spiegeln. Pepsis Vater liegt beispielweise im tief betrunkenen Zustand manchmal wie ein Käfer auf dem Boden und Pepsi sortiert ihre Wahrnehmung anhand der Lektüre der „Verwandlung“, die sie von innen stützt.

 

Was wünschst Du Dir von denen, die Pepsi nun lesend kennenlernen und begleiten werden? Oder: Was möchtest Du ihnen mitgeben mit Deinem Roman?

 

Wenn meine Leserinnen und Leser mit Pepsi durch die Jahre, Landschaften, Orte, Erlebnisse und Sprachen gewandert sind und sie auf ihrem Weg ins Erwachsenwerden begleitet haben, dann wünsche ich mir, dass sie das Buch wieder vorne aufgeschlagen und das dem Herzflorett vorangestellte Motto von Erika Freeman noch einmal lesen – denn das ist die Essenz von Pepsis Reise: es geht im Leben nicht darum, ständig glücklich zu sein, sondern an den uns abverlangten Widerständen entlang weiter zu atmen, niemals aufzugeben oder wie es Freeman sagt: „weiter zu blühen“, also die Lichtverhältnisse selbst zu gestalten, in denen wir zu unserem Leben kommen. Denn das können wir nicht von den anderen verlangen, sie können das nicht für uns tun, das müssen wir selbst tun – die Schatten durchschreiten, ins Blühen kommen, zu den helleren Gefilden unseres Lebens vordringen. In jedem Menschen gibt es eine Sehnsucht und einen Ruf nach Freiheit. Die Bedingungen dafür können wir oftmals nicht beeinflussen, aber wir können im Gegebenen an den Lichtverhältnissen arbeiten, von zu starken Urteilen wegkommen. Es gibt kein Leben und keine Rose ohne Dornen. Das Florett sticht bei jedem zu, mitten ins Herz, aber genau da ist früher oder später auch die Möglichkeit der Erweckung in einem Lebensspiel, das uns besser kennt als unser Kopf jemals ergründen kann.