Die schönen Tage meiner Jugend - Marica Bodrožić
18471
post-template-default,single,single-post,postid-18471,single-format-standard,bridge-core-2.5,ajax_fade,page_not_loaded,,qode-title-hidden,qode-theme-ver-23.5,qode-theme-bridge,disabled_footer_bottom,wpb-js-composer js-comp-ver-6.4.1,vc_responsive

Die schönen Tage meiner Jugend

Ana Novac hat ihre Jugend in Konzentrationslagern verbracht. Das Licht der Welt erblickte sie, so schreibt sie es selbst, „zeitgleich mit dem Faschismus“. 1929 wurde sie in Siebenbürgen geboren, 1944, im Alter von vierzehn Jahren, nach Auschwitz deportiert. Ihr Buch „Die schönen Tage meiner Jugend“ ist das Zeugnis und die authentische Niederschrift aus dieser Zeit des trostlosen Grauens. Das Schreiben hat Ana Novac im Lager geholfen, ihre Erlebnisse zu sortieren und das nackte Entsetzen zu verbalisieren. Die Geräusche von Auschwitz, das Gebrüll, die Panik, die Not, zwischen unzähligen nackten Körpern, denen man die Würde genommen und die man entmenschlicht hat – all das beschreibt sie akribisch, immer auf der Suche nach Papier und Bleistift. Ihre Vorstellungskraft entpuppt sich als die Brücke zum Leben, die den meisten Lagerinsassen fehlt. Immer wieder kommen Formulierungen vor, die emotional kaum aushaltbar sind, denn eine Scheibe Brot ist schon Anlass für ein unkontrollierbares Chaos, während nebenan der Himmel sich rot verfärbt und der Geruch menschlichen Fleisches die Luft erfüllt.

Das Erschütternde an Ana Novac’s Buch ist, dass es kein nachträglich literarisierter Bericht ist. Im Gegenteil, nichts hier ist sprachlich ausgedacht, es ist ein Dokument aus der schwärzesten Zeit der Menschheit, geschrieben an den Orten unvorstellbaren Entsetzens. Aus der Mitte eines ergreifenden Menschseins stammen diese Sätze, von einer Frau, die keine Jugend hatte und in der man alles abtöten wollte, ihre Würde, ihre Tränen. Doch sie beugt sich nicht innerlich und schreibt einmal: „Wenn man keine Tränen mehr zum Weinen hat, bleibt nur noch: das Lachen!“

Das Aufschreiben geschah, und das darf man nicht vergessen, unter Lebensgefahr. Ana Novac spricht immer wieder von der Wirkung der Vorstellungskraft. Durch sie war sie in der Lage, das Gesehene als Betroffene, aber auch als Zeugin festzuhalten, in einer eigenen, ganz persönlichen Sprache, die es vor allem in Auschwitz nicht, aber auch in keinem der anderen Konzentrationslager gab. Eine individuelle Sprache durfte es nicht geben, die Perfidie lag genau in ihrer Eliminierung.

Immer wieder notiert Ana Novac, wie wichtig ihr Augenblicke von Stille waren, Momente, in denen sie kurz allein sein und irgendeine Kleinigkeit als privat erleben konnte. Es habe lange Perioden gegeben, schreibt sie, in denen sie nur durch und für ihr Tagebuch gelebt habe. „Alles, was mir widerfuhr“, hält sie fest, „geschah nur deshalb, um aufgeschrieben zu werden. Mein wirkliches Leben war lediglich eine Art Dienstbote, der Lieferant meines formulierten Lebens“.

Wenn man dieses Buch gelesen hat, wird man verändert sein, denn alles, was man bisher über das Dritte Reich zu wissen glaubte, kann man hier bis zur Unerträglichkeit des Schmerzes auch fühlen. Der Grund dafür ist in der Direktheit der Notizen zu suchen, denn es entfallen jegliche Filter, wenn man weiß, dass diese junge Frau auf Toilettenpapier, Pappe oder Plakaten schreibt, die sie etwa in Latrinen findet oder sogar tollkühn einem Kommandanten abluchst. Die Atemlosigkeit, die Krankheiten, die sadistischen Spiele der Deutschen, die so gut wie gar nicht vorhandene Hygiene, die Schmerzensschreie, die verzweifelten Gebete der Menschen: all das überträgt sich unmittelbar und führt dazu, dass wir dieses Buch nicht aus der Hand legen können, ohne Fragen zu stellen, die auch die Schreibende sich vor Ort gestellt hat, Fragen nach Gott und Fragen nach dem Menschsein, nach Leben und Tod. Wie kann man sie beantworten? Wie hat Ana Novac sie beantwortet, ein Mensch also, der nicht nur Auschwitz, sondern auch die kommunistische Diktatur unter Ceausescu überlebt hat? Lakonisch hält sie in ihrem Epilog fest: „Seitdem der Tod nicht aufhört, mich sitzen zu lassen, ist er deutlich in meiner Achtung gesunken. Er ist nur noch eine Hypothese unter anderen.“ Damit stellt sie der fieberhaften Allgegenwart des Todes ihr eigenes gerettetes Leben entgegen.

 

Das Tagebuch von Ana Novac ist in deutscher Sprache zum ersten Mal in den sechziger Jahren erschienen, allerdings in einer Übertragung aus dem Ungarischen, die damals die Schriftstellerin und Übersetzerin Barbara Frischmuth besorgte. Die hier vorliegende Ausgabe ist identisch mit dem französischen Original, dem Ana Novac einen Epilog über ihre Zeit nach dem Lager beigefügt hat. In der Zwischenzeit hat Ana Novac sich als Autorin mehrerer Bücher einen Namen gemacht, in französischer Sprache Romane und Theaterstücke in rumänischer Sprache verfasst. Sie war bis 1969 in Rumänien der kommunistischen Diktatur unter Ceausescu ausgesetzt, bevor sie sich endlich ihren Traum erfüllte, ausreisen durfte und nach Paris ging, wo sie bis 2010 lebte.

 

Ana Novac: Die schönen Tage meiner Jugend. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Schöffling Verlag, 22,90 Euro

 

 

SWR, 2009