10 Dez Granit statt Illusionen
Die Natur ist, so können wir es von dem amerikanischen Lyriker Robinson Jeffers lernen, im Grunde nichts anderes als eine Tragödin. „Die Küste ruft“, heißt es in einer seiner großen Verserzählungen „Apologie für böse Träume“, „nach dem tragischen Geschehen wie alle schönen Stätten“. Robinson Jeffers kam 1887 in Pittsburgh, Pennsylvania zur Welt und starb 1962 im kalifornischen Carmel. Obwohl er seit 1925 mit mehreren Dramen und über 21 Gedichtbänden hervorgetreten ist, die in Amerika teilweise enorme Verkaufszahlen erreichten, ist er über lange Zeit hinweg selbst dort nicht wirklich bekannt geworden. Das liegt vor allem an seiner exzessiven poetischen, aber auch in seiner Biographie verankerten Radikalität, ebenso an der Kritik seinem Land gegenüber. Letzteres hat man ihm nicht nur seitens der Politik, sondern auch seitens seiner Kollegen nachhaltig verübelt. „Es ist besser auf Granit gebettet zu sein/ als auf Illusionen“, heißt es einmal bei ihm und dieser Satz könnte als Motto für sein Leben und Werk gelten.
Die Essayistin, Übersetzerin und Publizistin Eva Hesse hat den vorliegenden Band mit Jeffers’ Gedichten zusammengestellt, übersetzt und mit einem sehr hilfreichen, bemerkenswerten Essay versehen. Dass Jeffers als einziger großer amerikanischer Dichter des Zwanzigsten Jahrhundert sehr lange Zeit hierzulande unübersetzt und unbekannt blieb, lag gewiss an jenem Brief, den Gottfried Benn einem deutschen Verleger schrieb. Darin heißt es: „Lieber Herr N., ich habe diese Jeffers-Sache angesehen. Mein erster Eindruck ist kein positiver. Zu moralisierend, zu politisch-pazifistisch, zu pastoral… es steht ein langweiliger Mensch hinter dem Ganzen.“ Heute kann man über Benns Überheblichkeit nur staunen und sich wundern, dass er sich, gänzlich abgespalten von seinem eigenen Unbewussten, hatte zu so einem Verdikt verleiten lassen. Sein Verdammungsurteil ist nur vor dem Hintergrund seiner persönlichen Verwicklungen zu verstehen; dass ihm die pazifistische Idee in Jeffers’ Werk nicht sympathisch war, hätte aber wenigstens im Nachkriegsdeutschland aufhorchen lassen müssen, da Benn bekanntermaßen in den Jahren 1933 und 1934 Partei für die Nationalsozialisten ergriffen hatte. Ein Zufall ist es sicher nicht, dass dies gerade in jener BRD nicht verstanden wurde. Und Jeffers, der in seiner Dichtung ein unbestechlicher, kritischer Zeitzeuge war, wäre gerade damals sogar so etwas wie ein Vorzeigedemokrat gewesen.
Was Jefferson jedoch ausmacht, ist sein Sprachdynamit, sein unmittelbares Verhältnis zum Leben und seine Übersetzung in Sprache. Er ist ein knallharter Erwecker, wie es ihn heutzutage überhaupt nicht mehr gibt – er setzt sich aus und wird von der Sprache ausgesetzt, ein Poet, der sich selbst zum Findelkind macht und durch das Feuergehege seines eigenen Selbst durchschlagen lässt. Dabei legt Jeffers ein dramatisches Zeugnis davon ab, was Dichtung alles vermag, was eine wirkliche Stimme ist und an welchen scheinbar verdorrten Wurzeln sie doch spracherweckend, bescheiden und fulminant in einem wird. Deshalb wird bei ihm auch die Menschheit nicht etwa besungen, sondern mit einem „Mörser“ „gemahlen“, bis sich alle Orientierungen verlieren und nur noch der Schwindel selbst Orientierung und Ziel ist. Die Aufgabe von Dichtung sei es, hat Jeffers einmal geschrieben, auf einmal eine ganze Welt einzubegreifen, „die physische und die sinnliche, die intellektuelle, die geistige, die phantastische, alle in einer leidenschaftlichen Verquickung.“ Dann werde Dichtung zu einem Medium der Entdeckung, während sie zugleich ein Medium des Ausdrucks sei. Anders als es die Wissenschaft mache, die die Dinge zersetzt, versucht Poesie alles zusammenzuführen. „Schöpfung“ ist dafür Jeffersons Wort. Das Neue, das eine Schöpfung seit jeher ausgemacht hat, ist das, was dabei entsteht, sich zeigt und verbirgt und von dem auch der Autor selbst erst dann erfährt, wenn es entstanden ist.
Robinson Jeffers ist konsequent seiner inneren Stimme gefolgt und hat in seiner Dichtung wie in seinem Leben den Ausstieg aus den allzu bekannten Formen gewählt. Das hat ihm weder in seiner Arbeit noch in seinem privaten Dasein eine leichte Position verschafft, aber genau das hat er in aller Konsequenz zu vermeiden gesucht. Das Universum hat er als ein Lebewesen verstanden, in dem der Mensch nur Teil einer „kleinen Musik“ ist; nichts weiter als ein fließendes Vehikel, der zu neuen Formen des Bewusstseins unterwegs ist. Ausgerechnet das hat ihm den Ruf des Menschenhassers eingebracht. Seine Idee des „Inhumanismus“ ist falsch verstanden worden, richtiger wäre es zu sagen, die Abwehr war zu groß. Hätte man sich auf seinen radikal-poetischen Blickwinkel eingelassen, so wäre der Gedanke naheliegend gewesen, dass der Mensch keineswegs etwas Besonderes ist. Denn trotz der Rolle des „Humanen“, die er sich selbst zugeteilt hat, führt er bis heute noch Kriege und bleibt unbelehrbarer als jede noch so kleine Ameise.
Jeffers’ Welt ist eine Welt des fortwirkenden Plural. Er selbst hat das einmal auf den Punkt gebracht, als er festhielt, man schreibe nicht in dieser Welt, sondern in einer größeren. Diese größere Welt hat er mit seiner Sprache betreten, vielleicht nur deshalb, weil er größenwahnsinnig und demütig in einem gewesen ist, beides hat ihm gezeigt, dass es nur die Verwandlung gibt, dass die Dinge, genauso wie das von ihm in Carmel eigenhändig erbaute und heute als Museum zu besichtigende Haus, zwar fortbestehen, aber nur einem „unter anderem Namen“. Jeffers war mutig genug, sich namenlos und nackt zu machen. Wenigstens jetzt, bald fünfzig Jahre nach seinem Tod, sollte man ihn dafür würdigen, also endlich lesen. „..das einzige Maß/ Für die Traumzeit war der Träumer“, schrieb er in seinem für ihn spezifischen Gedicht „Traum nach dem Tod“. Diese Art Traumzeit und der Träumer haben sich in seinen Büchern erhalten. Einen Eindruck davon kann dieses sorgfältig zusammengestellte und für Lyrikleser unabdingbare Buch geben, das uns zeigt, dass man zwar alt, aber nicht nachlässig werden darf. Und dass Poesie wie die von Jeffers uns keineswegs vor dem Tod retten kann, aber sehr wohl dazu verhilft, die Verwandlung als ein Synonym für Leben zu verstehen.
Robinson Jeffers: Die Zeit, die da kommt. Gedichte. Zweisprachige Ausgabe. Deutsch und mit einem Essay von Eva Hesse. Carl Hanser Verlag, München 2008
FAZ, 21.8.2009
.