Arthur Koestler, Ein extremes Leben - Marica Bodrožić
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Arthur Koestler, Ein extremes Leben

Marica Bodrožić

 

EIN EXTREMES LEBEN: Der ungarisch-jüdische Schriftsteller ARTHUR KOESTLER

Eine Biographie von Christian Buckard

 

Ob er sich mit der jüdischen Staatsfrage, mit der Kommunistischen Partei oder beispielsweise mit der Unsterblichkeit des Menschen beschäftigte, geleitet wurde Arthur Koestler stets von der fixen Idee, ein Schriftsteller von Weltruf zu werden. Und nichts anderes ist er auch geworden, wenn es auch manchmal aussah, als verirre er sich auf politischen Abwegen, die ihm viele Feinde, mitunter großes Unverständnis vieler Juden und einen Bruch mit Ben Gurion einbrachte, weil Koestler mitten in einer brisanten Weltsituation die Theorie der jüdisch-khasarischen Abstammung in Buchform vorlegte und damit nur noch größeren Antisemitismus möglich machte. Mit jedem Schritt, den er ins Ungewisse tat, suchte er das Extreme zu verwirklichen. Dabei zeigte er hin und wieder seine rechthaberische Natur, die Albert Einstein zu dem schönen Satz verleitete: „Der liebe Gott weiß alles, Arthur Koestler weiß es besser.“

Natürlich war Koestler nicht immer ein Held. Doch genau so ein Bild muss er von sich selbst gehabt haben. Und so fällt bei ihm in eins, was bei allen großen Biographien der Fall ist: das Werden ist nur möglich, wenn man sich vom Weg führen lässt, ohne zu wissen, wohin die Reise geht. Koestler, ein Pionier im wahrsten Sinne des Wortes, hat sich auf dieser stellenweise lebensgefährlichen Reise des Zwanzigsten Jahrhunderts selbst zur Handlung gemacht. Zu seinen weltberühmten Werken zählen Romane und Erzählungen wie zum Beispiel „Die Sonnenfinsternis“ oder „Der Pfeil ins Blaue“.

Stellte man sich die Frage, wer Arthur Koestler war, so wäre in Kürze eine einzige Antwort möglich: Arthur Koestler war ein Mensch des 20. Jahrhunderts. Wie kaum ein anderer Intellektueller des letzten Säkulums ist er den Heimsuchungen und Widersprüchen der Identität, des politischen Kampfes und persönlicher Neugier gefolgt und hat dabei den teilweise sehr schmerzhaften Wandel an sich selbst erlebt. Zur Welt gekommen ist der ungarisch-jüdische Schriftsteller Arthur Koestler 1905 in Budapest. Im Hause Koestler wurde Deutsch gesprochen. Sein Biograph, der in Berlin lebende Autor Christian Buckhard notiert „Ebenso selbstverständlich wie sein Judesein war Koestler die Zugehörigkeit zur ungarischen Nation. Allerdings war ihm die Dimension seiner ungarischen Identität fassbarer, konkreter als die seines Judentums: Ungarn war sein Heimatland, in den Strassen von Budapest fühlte er sich zu Hause.“ Doch ist in dieser biographischen und metaphysischen Konstellation bereits die Tragik seines Lebens angelegt. Obwohl Ungarn sein „heiliges Land“ zu sein scheint, wird er von der Turbulenz seines Jahrhunderts, der Bodenlosigkeit des Naziregimes, des Völkermordes an den Juden und der Gründung des Staates Israel auf eine vehemente Weise in Anspruch genommen, dass es ihn mehrfach fast Kopf und Kragen gekostet hätte. Überzeugt von seiner Zukunft als Schriftsteller, beginnt er in Palästina zunächst als Journalist zu arbeiten. Als Zionist trat er der Kommunistischen Partei bei und handelte sich mit diesem Ausflug in seine eigenen, von ihm verdrängten Widersprüche viele unnötige Feinde ein. Für Koestler sei jedoch nichts wichtiger gewesen, als ein persönlicher Beitrag zur Errichtung des jüdischen Staates. Christian Buckard bemerkt, dass Koestler einen Palästina-Roman schreiben wollte, aus dem klar werden sollte: „… dass es keine Alternative zur Gründung eines jüdischen Staates gebe. Ihn selbst würde der Roman – so hoffte er zumindest – von seinen Schuldgefühlen gegenüber seinem Volk befreien und ihm für einige seine ‚Sünden’ Absolution verschaffen.“ Auf eindrückliche Weise zeigt diese Biographie das Dilemma einer intellektuellen Identität, die sich am meisten in der Abwehr ihrer selbst verausgabt. Koestlers Leben hat viele Intellektuelle beschäftigt, darunter auch den jugoslawischen Schriftsteller Danilo Kiš. Dieser notierte einmal, wenn wir ohne Furcht vor Hegels „Identität des Identischen und des Nicht-Identischen“ vom Intellektuellen mitteleuropäischen Typs sprechen können, so vor allem dank der Persönlichkeit Arthur Koestlers. Seine ungarisch-jüdische Herkunft sei wie ein Tierkreiszeichen, so Kiš. Dieses erkläre alle seine Bestrebungen und Doppeldeutigkeiten: „… vom Judentum bis zur Assimilationstheorie, vom Marxismus bis zur absoluten Negation des Kommunismus (…), vom Glauben an die Wissenschaft bis zum Zweifel an jedem „geschlossenen Denksystem“, von der Suche nach dem Absoluten bis zur heiteren Resignation in bezug auf menschliche Kritikfähigkeit. Koestlers intellektuelles Abenteuer bis hin zu seiner letzten Wahl ist in europäischen Dimensionen einmalig. Es trägt die potentielle Biographie jedes mitteleuropäischen Intellektuellen in sich. Als ihre radikale Verwirklichung.“ Diese sehr ambitionierte und detailreiche Biographie Christian Buckards gibt das Leben Koestlers konzentriert wieder. Und doch gilt auch hier Nabokovs Wort von der Imagination als der einzigen Form des Erinnerns. Das Buch „Ein extremes Leben“ ist ein guter Beginn, dem Schriftsteller und Visionär Koestler auf die Spur zu kommen. Doch als „Demiurgen“ können wir ihn ergänzend erkennen, wenn wir sein eigenes Werk lesen. Koestlers „letzte Wahl“ war sein eigener Freitod, für den er sich – im Wissen um zwei lebensbedrohliche Krankheiten – 1983 in seinem Londoner Exil klaglos entschied. In seinem Abschiedsbrief heißt es: „Ich möchte meine Freunde wissen lassen, dass ich (sie) mit der Hoffnung auf ein nicht persönliches Weiterleben verlasse, jenseits von Raum, Zeit und Materie und unseres Begriffsvermögens. Das ‚ozeanische Gefühl’ hat mir in schwierigen Momenten oft geholfen und tut es jetzt, während ich dies schreibe.“

 

Christian Buckard: Ein extremes Leben. 1905-1983. 424 Seiten mit 34 Abbildungen. C.H. Beck Verlag, München 2004,

 

Text von 2004, MDR